"Gleitflug für Milchbauern"
PDF Drucken E-Mail
Freitag, 19. Juni 2009 um 08:25

Agrarministerin Ilse Aigner will den Erzeugern kurzfristig helfen – und macht ihnen langfristig wenig Hoffnung. Ein Interview über Milchsubventionen und Gen-Innovationen

DIE ZEIT: Wie viele Agrarminister werden die hiesigen Milchbauern noch erleben, bis ihnen einer die Wahrheit sagt: Das Bauernsterben geht weiter?

Ilse Aigner: Ich brauche mich da nicht zu verstecken. Wo ich auch stehe, sage ich: Die Milchquote, die einer künstlichen Verknappung der Milchmenge gleichkommt, läuft nach derzeitiger Beschlusslage aus. Um das zu verhindern, wäre ein Vorschlag der Europäischen Kommission oder ein einstimmiger Beschluss der 27 Agrarminister für die Quote nötig. Beides ist leider wenig realistisch.

ZEIT: Die Pleite Tausender kleiner Milchbetriebe steht also fest?

Aigner: Das ist nicht gesagt. Es überlebt nicht zwingend der größte, sondern derjenige, der sich am besten auf den Strukturwandel einstellt.
Anzeige

ZEIT: Wie helfen Sie den Bauern dabei?

Aigner: Zum Beispiel mit Liquiditätshilfen, die die Phase niedriger Preise überbrücken sollen. Wir können die Direktzahlungen vorziehen oder zinsverbilligte Kredite anbieten. Der Agrardiesel wird stärker bezuschusst, und wir wollen das Milchbegleitprogramm in das europäische Konjunkturprogramm einbauen. Damit könnten wir 1,1 Milliarden Euro für den Milchbereich einsetzen. Für Grünlandbewirtschaftung, Weideprämie oder den Fall, dass sich einzelne Betriebe vergrößern wollen.

ZEIT: Auf Kosten anderer, und der Dieselzuschuss hilft eher den Ackerbauern. Wie viele Bauern wird es also 2020 noch geben?

Aigner: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Gerade kleinere Betriebe haben oft mehrere Standbeine und können auch mal ausweichen in den Tourismus oder die Holzvermarktung. Wer sich allein auf Milch konzentriert, der hat trotz Größe vielleicht schneller Schwierigkeiten.

ZEIT: Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft schätzt, dass sich die Zahl der Betriebe in 13 Jahren halbieren wird.

Aigner: Wir sind unbestritten in einer schwierigen Situation, können aber davon ausgehen, dass der Absatz wieder steigt und damit der Preis.

ZEIT: Aber solche Prognosen zeigen: Die Herausforderung ist größer als in der Automobilindustrie.

Aigner: Es ist eben nicht nur der Absatz in Europa gesunken, mit der Wirtschaftskrise sind uns ganze Märkte weggebrochen, etwa China und Russland.

ZEIT: Liegt die Zukunft in Asien, Afrika, Arabien?

Aigner: Jeder fünfte Landwirt und jeder vierte Beschäftigte in der Ernährungswirtschaft lebt heute vom Export. Und da die Weltbevölkerung deutlich wachsen wird, sollten wir bei ihrer Ernährung dabei sein.

ZEIT:  Mithilfe von Exportsubventionen – die den Entwicklungsländern schaden?

Aigner: Stopp, dieses Wachstum hat mit Exportsubventionen nichts zu tun. Subventionen hat die EU nur bei der Milch wieder eingeführt, und das auch nur befristet.

ZEIT: Das klingt nach Abwrackprämie.

Aigner: Bis 2013 sollen die Exportsubventionen ja auslaufen.

ZEIT: Zum Glück, denn Organisationen wie Brot für die Welt beklagen, dass in Kamerun Molkereien zumachen, weil dort durch den Fluss deutscher Milch die Märkte kollabieren.

Aigner: Aus Deutschland sind nach unserer Kenntnis keine Milcherzeugnisse nach Kamerun geliefert worden. Ich habe auch immer wieder erklärt, dass ich gegen Lieferungen in die am wenigsten entwickelten Länder bin.

ZEIT: Exportsubventionen verzerren überdies die Märkte und schaden der Globalisierung…

Aigner: …weswegen sie 2013 abgeschafft werden.

ZEIT: Warum halten die Agrarminister überhaupt noch daran fest?

Aigner: Es ist ein Instrument, um die Probleme am Milchmarkt derzeit abzufedern. Im Grunde wollten wir bis 2013 einen Gleitflug erzeugen, aber die Wirtschaftskrise hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.

ZEIT: Ihre Vorgängerin forderte: »Klasse statt Masse.« Ist das auch für Sie ein Ziel?

Aigner: Ich will Wahlfreiheit. Der Landwirt und der Produzent sollen selbst entscheiden, wie sie sich aufstellen. Der Verbraucher hat durch sein Konsumverhalten ein erhebliches Wörtchen mitzureden.

ZEIT:  Aber der Staat sollte die Rahmenbedingungen setzen. Die Massenproduktion von Milch und Fleisch gilt als Klimakiller. Das wäre doch jetzt eine Chance, etwas anderes zu fördern als die Produktion von Mengen.

Aigner: Das machen wir ja schon, indem wir ab 2010 die Agrarförderung von der Produktion entkoppeln. Es zählt nicht mehr die Masse, sondern jeder bekommt gleich viel pro Hektar, ob er Äpfel anbaut oder Kühe weiden lässt.

ZEIT: Geld bekommen nicht nur die Produzenten. Die Bundesländer haben gerade die umstrittene Empfängerliste veröffentlicht: Warum profitiert selbst die Lufthansa vom zweitgrößten Staatsfonds, dem Agrarhaushalt?

Aigner: Die Zahlen, auf die Sie anspielen, sind alt, sie stammen noch aus der Zeit der Vorgängerregierung.

ZEIT: Lufthansa bekommt jetzt nichts mehr?

Aigner: Die kriegen schon noch was, aber nicht für Milchprodukte.

ZEIT: Bei der Gentechnik haben Sie eine Maissorte der Firma Monsanto verboten, aber den Anbau der von BASF manipulierten Kartoffel Amflora erlaubt. Wie erklären Sie das den Verbrauchern?

Aigner: Bei der Ablehnung von MON 810 habe ich eine Risikoentscheidung zum großflächigen kommerziellen Anbau getroffen, die zweimal vom Gericht bestätigt wurde. Bei Amflora geht es um einen Versuchsanbau auf einer Fläche von 400 mal 500 Metern, streng eingezäunt und rund um die Uhr bewacht; außerdem ist das Produkt ausschließlich für die industrielle Verwertung als Stärkelieferant bestimmt. Es ist ausgeschlossen, dass Amflora in den Lebensmittelkreislauf kommt. Das eine hat also mit dem anderen gar nichts zu tun.

ZEIT: Immerhin gab es bei der Amflora in der EU-Lebensmittelbehörde ein Minderheitsvotum.

Aigner: Es ist Sache der Europäischen Kommission, wie sie mit solchen Entscheidungen umgeht.

ZEIT: Forschungsministerin Annette Schavan ist für die Gentechnik, Sie sind skeptisch. Welche Position hat denn nun die Bundesregierung?

Aigner: Auch ich meine: Wir können und sollten uns nicht aus der Forschung ausklinken. Sicherheit ist das oberste Prinzip bei Anbau und Versuchen, und daran werde ich mich orientieren.

ZEIT:  Ist es nicht widersprüchlich, die Forschung zu erlauben, aber die Markteinführung zu behindern, weil die Menschen Genfood nicht essen wollen? Das unterbindet doch jeden Anreiz.

Aigner: Erstens gehört zur Forschung auch die Sicherheitsforschung. Außerdem gibt es Zukunftsentwicklungen, die mehr Nutzen erkennen lassen. Den haben die Bauern und Verbraucher und auch wir bei MON 810 nicht erkannt. Bei anderen Sorten kann das anders sein, etwa wenn es neue Pflanzen für Trockenregionen geben sollte.

ZEIT: Laut Europarecht müssen genmanipulierte Pflanzen zugelassen werden – Ungarn oder Österreich verstoßen dagegen. Was halten Sie vom Vorschlag, Brüssel soll die Zulassung ermöglichen, aber die Länder dürfen über den Anbau entscheiden?

Aigner: Das wäre ein Weg. Aber da gibt es in der Bundesregierung unterschiedliche Meinungen.

ZEIT: Monsanto verklagt Deutschland und will Sie sogar persönlich haftbar machen, weil sie MON 810 verboten haben. Was ist das für ein Gefühl?

Aigner: Ich habe das befremdlich gefunden.

ZEIT: Monsanto wird auch nicht gefallen, dass Sie das Label »Ohne Gentechnik« fördern.

Aigner: Das ist eine gute Chance für Anbieter, nachzuweisen: Dieses Produkt enthält keine genetisch veränderten Futtermittel.


Quelle: Zeit online, 18.06.2009

 
Bund der Landjugend Württemberg-Hohenzollern Bund Badischer Landjugend e.V. Landjugend Württemberg Baden Landjugend RheinhessenPfalz Landjugendbund Saar im Bauernverband Saar e.V. Landjugend im Bauern- und Winzerverband/Rheinland-Nassau e.V. Hessische Landjugend Landesverband Rheinische Landjugend e.V. Westfälisch-Lippische Landjugend e.V. Niedersächsische Landjugendgemeinschaft e.V. Bayerische Jungbauernschaft e.V. Landjugendverband Thüringen e.V. Landjugendverbund Sachsen-Anhalt e.V. Sächsische Landjugend e.V. Berlin-Brandenburgische Landjugend e.V. Landjugendverband Schleswig-Holstein e.V. Landjugendverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen hierzu erhalten Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Ich stimme zu
EU Cookie Directive plugin by www.channeldigital.co.uk